In der Wallonie stellen Gemeinden und öffentliche Instanzen vermehrte Anfragen nach einer Installation von Kabelkanälen auf Ebene der Gehwege fest. Warum? Mehr und mehr Besitzer von Elektrofahrzeugen, denen keine Garage zur Verfügung steht, streben nach der Möglichkeit, ihr Fahrzeug dennoch vor ihrer Haustür aufzuladen. Verstärkt wird dies durch den Ausbau der von den Gemeinden installierten Ladestationen. Nach Ansicht des belgischen Fahrradfahrerverbandes wirft dies zumindest Fragen auf: Wie darf/soll öffentlicher Raum genutzt werden und wo sind die Grenzen einer Elektrifizierung der Fahrzeugflotte?
Zwar gibt es spezielle Parkzonen im öffentlichen Raum, in denen man sein Auto abstellen kann, allerdings ist es nicht erlaubt, einen dieser Parkplätze für sich zu reservieren. Somit hat auch dort niemand die Sicherheit, dass er jederzeit sein Auto vor seiner Haustür aufladen kann. Im Gegenzug birgt die vermehrte Installation der oben erwähnten Kabelschächte allerdings die Gefahr, dass entsprechende Orte zum Heiligtum für Dauerlader bzw. -parker erklärt werden.
Unsere Städte befinden sich im Umbruch, Mobilität und Gestaltung müssen neu überdacht werden. Wenn nun die Besitzer von Elektrofahrzeugen die Möglichkeit erhielten, diese frei vor ihrer Haustür aufzuladen, würde dies zur Privatisierung entsprechenden gemeinsamen Raums beitragen. De facto würde eine Individualisierung der Raumnutzung ebenso verstärkt wie eine gleichzeitige Nichtabgrenzung zwischen privatem und öffentlichem Raum.
Selbstverständlich haben die Gemeinden die Möglichkeit, diese – im Rahmen einer Erschließung entstehenden – Zugänge zu Ladestationen zu sperren. Jedoch dürften die Beschwerden der Anwohner dadurch nur umso heftiger und vehementer ausfallen. Und wenn es nicht die Anwohner sind, von denen Widerstand kommt, so laufen die öffentlichen Behörden Gefahr, sich selbst zu zensieren und jegliche Entwicklung des Raums zu unterbinden – einfach aus Angst, den Aufschwung dieser als so sauber und tugendhaft deklarierten Elektromobilität zu behindern.
Die Union der Städte und Gemeinden der Wallonie (UVCW) teilt diese Befürchtungen:
Es ist offensichtlich, dass die Nachfrage nach der Nutzung von öffentlichem Grund für das Aufladen von Fahrzeugen im Laufe der Zeit zunehmen wird (insbesondere nach Kabeln, die von einer Privatwohnung zu einem auf der Straße geparkten Fahrzeug führen). Die UVCW befürchtet jedoch ein Aufkommen von Unverständnis seitens einiger Bürger, die fälschlicherweise zu dem Schluss kommen könnten, dass – angesichts der massiven Ermutigung zum Umstieg auf Elektroautos und der dagegen zurzeit geringen Anzahl zur Verfügung stehender öffentlicher Ladestationen – diese Art der Nutzung ein erworbenes Recht darstellt, das nicht verweigert werden kann bzw. das keiner vorherigen Genehmigung bedarf (und es ist wichtig, dass sich der gesetzliche Rahmen nicht in diese Richtung entwickelt, damit die Gemeindebehörde die volle Kontrolle über den öffentlichen Bereich behält). Ebenso befürchtet die UVCW, dass die Folgen der unsicheren Genehmigungen bei den Bürgern kaum Beachtung finden könnten.
Die Befürworter der Kabelkanäle führen ebenfalls ein Gerechtigkeitsargument an: Ihrer Meinung nach wäre dies für Hausbesitzer bzw. Mieter, denen keine Garage oder Einfahrt zum Parken ihres Autos zur Verfügung steht, ein Ausgleich für den Zugang zu einem Elektroauto und dessen Versorgung. Jedoch lassen die Zahlen dieses Argument der Gerechtigkeit zwischen den Bürgern in eine andere Richtung schwanken: In den Städten der Wallonie mit mehr als 100.000 Einwohnern verfügt mehr als ein Drittel der Haushalte über kein Auto. In Brüssel ist es mehr als die Hälfte der Haushalte. Daher stellt sich die Frage, wie ungleich die Verfügung über den öffentlichen Raum ist, die Bürgern mit Auto gegenüber Bürgern ohne Auto geboten wird.
Während es hier um das Parken an der Fahrbahn und die Installation von Kabelkanälen geht, gilt das Gleiche für öffentliche Plätze und die Installation von Ladestationen. Immer mehr Gemeinden richten – sehr oft in zentralen Stadtteilen – solche Ladestationen ein, die manchmal sogar kostenlos genutzt werden können. Jedoch steht dies den Möglichkeiten entgegen, unsere Stadtzentren (Städte, Ortschaften und Dörfer) zu beruhigen und somit dem Bestreben, den Raum in den Stadtzentren für aktive Verkehrsträger (Gehen, Radfahren) zurückzugewinnen und – im weiteren Sinne – dem Bestreben, gesellige Räume und Treffpunkte zu schaffen.
Teilweises Verbot in der Brüsseler Region?
In Brüssel sprach sich die Regionale Mobilitätskommission für ein „Verbot des privaten Aufladens von Elektrofahrzeugen, das die Verlegung von Kabeln im öffentlichen Raum erfordert“ aus. Nur öffentliche Ladestationen und solche, die auf privatem Grund installiert werden, „sollten erlaubt sein“, so die Kommission.
Die Kommission fügt außerdem hinzu, dass dieses Verbot mit einem Kontroll- und Sanktionsmechanismus einhergehen muss und empfiehlt, die Kommunikation über die Installation dieser Ladestationen und die bestehenden Verbote zu verbessern, sei es gegenüber Privatpersonen oder Unternehmen.
Die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte – ein Thema mit vielen Facetten
Die Verbesserung der Luftqualität und die Verringerung der Lärmbelästigung gehören zu den Vorteilen, die das Thema Elektromobilität bereithält. Um aber Probleme zu vermeiden, die ein zu rasanter Aufschwung mit sich bringen würde, ist es notwendig, dass alle Aspekte Berücksichtigung durch die öffentliche Hand finden. Bekannt ist, dass die umfassende Elektrifizierung des derzeitigen Fahrzeugparks an sich keine Lösung des Mobilitätsproblems darstellt, sondern höchstens eine Lösung des Problems der Energie- und Luftverschmutzung. Wenn man also wirklich vorhat, die Mobilität – elektrisch oder nicht – zu beeinflussen, wird man in einem umfassenderen Rahmen darüber nachdenken müssen, wie Anzahl und Größe von Autos reduziert und ihre Nutzung optimiert werden können.
Hierzu kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht:
- Eine ehrgeizige Politik, die sich für die aktive Mobilität und die öffentlichen Verkehrsmittel
- Stärkung von Carsharing (ein Privatwagen steht im Durchschnitt 95 % der Zeit still) und Fahrgemeinschaften (ein Privatwagen befördert im Durchschnitt 1,3 Mitfahrer).
- Umstellung auf leichtere Fahrzeuge mit geringerer Leistung und entsprechend kürzerer Ladezeit.
Alexandre Hagenmuller
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